Tallinn – Das grau-weiße Gebäude steht im Tallinner Vorort Nömme und ist ein schmuckloser Zweckbau aus Sowjetzeiten. Seit 1999 beherbergt es das Hospital der Diakonie; einem Stiftungsprojekt der estnischen evangelisch-lutherischen Kirche. Dort finden chronisch schwer kranke Menschen, Menschen mit Demenz und Menschen in ihren letzten Lebenswochen Hilfe und Betreuung. Immer vorausgesetzt, dass sie dort einen Platz bekommen, denn das Krankenhaus ist zu klein, zu wenig Zimmer und Betten stehen zur Verfügung.
Seit der Gründung 1999 ist die Ärztin Jelena Leibur im Diakoniekrankenhaus tätig, ist dessen Direktorin. In drei Abteilungen werden bis zu 90 Menschen ärztlich versorgt und liebevoll in schweren Lebensabschnitten betreut. Träger des Hospitals ist die evangelisch-lutherische Kirche, für seinen Betrieb sorgt die Diakonie, Finanzierung und Entwicklung des Hauses werden schließlich wesentlich durch kirchliche Mittel sowie nationale und internationale Kooperationen sichergestellt. So wurde beispielsweise die Grundsanierung des Hospitals im Jahr 2002 vor allem durch norwegische Partner ermöglicht. Am Aufbau der Demenz-Station ist das Diakonische Werk Schleswig-Holsteins und die deutsche Soziallotterie „Aktion Mensch“ beteiligt. Über die Betreuung der Menschen mit Demenz werde ich in der kommenden Woche berichten.
Die kleinste Station im Haus mit nur zwölf Betten ist das Hospiz. Unter Leitung der finnischen Medizinerin Teija Toivari (41) werden dort unheilbar kranke Menschen in den letzten Lebenswochen betreut. So wie Vello M. beispielsweise, der erst vor wenigen Tagen aufgenommen worden ist.
Wie nähert man sich diesem Thema und den Menschen an, um einerseits Last und Bedrängnis der Kranken zeigen zu können und andererseits die Arbeit der Gesunden zu würdigen, ohne zwangsläufig Grenzen in den intimsten Bereich des Menschen, also in die Daseinsfrage, zu überschreiten? Schwierig.
Mit einer Kamera in der Hand kommt man sich dort deplaziert und nachgerade wie ein Eindringling vor. Was umgekehrt, zumindest auf Seiten des ärztlichen und Pflegepersonals wohl so nicht empfunden wird.
Die Fakten der Station sind schnell zusammengetragen. Die Auskunftsbereitschaft ist umfassend und freundlich. Und schließlich entwickelt sich sogar ein Gespräch mit einem Patienten. „Sie kommen aus Deutschland“, fragt mich Vello M. mit leiser aber völlig klarer Stimme in gutem Deutsch zu meiner, wie auch zur Verblüffung des Personals. Körperlich stark geschwächt, aber völlig klar im Kopf erzählt der ehemalige Berufs-Chorsänger schließlich wie und wo er die deutsche Sprache gelernt hat. „Auf den Tourneen, erst in der DDR, später in ganz Deutschland.“ „Wo sind sie denn überall gewesen?“ „In Köln zum Beispiel, auch im Bergischen Land“, erzählt der 75 Jahre alte Mann, hört mir dann aufmerksam zu, also wir feststellen müssen, dass sich unsere Lebenslinien zumindest geographisch vor Jahrzehnten einige Male geschnitten haben müssen. Die Zeit vergeht rasend schnell. Vello M. klagt nicht, beschwert sich nicht über seinen Zustand, freut sich vielmehr über die miteinander verbrachte Zeit und das schöne Gespräch. Mir geht es genauso. Es ist überdeutlich, vor allem Zeit ist es, die sich die Mitarbeiter der Station nehmen müssen, um den Patienten angemessene Aufmerksamkeit und liebevolle Zuwendung bieten zu können. Aber Zeit ist eben auch Geld, und letzteres bestimmt nicht nur die Infrastruktur der Einrichtung, sondern auch den Personalschlüssel. Und ob der passt, werde ich in der kommenden Woche sehen. Es wäre schön, wenn ich Vello M. dann noch fragen könnte, wie ihm denn Wuppertal gefallen hat und ob er damals mit der Schwebebahn gefahren ist. Wolfgang Henze
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