Tallinn – Im Diakonie-Krankenhaus von Tallinn werden 24 Menschen mit Demenz in einem beschützten Lebensraum betreut. Dies ist die erste Fachstation überhaupt in Estland, die sich mit diesem chronischen Krankheitsbild befasst. Die Warteliste ist lang, der Bedarf an Betreuungsplätzen wächst aufgrund der demographischen Situation in Estland genauso, wie beispielsweise in Deutschland. Eine Entwicklung, der sich vor allem die westlichen Gesellschaften stellen müssen.
75 Prozent der Patienten in der Demenzfachstation in Tallinn sind Frauen. „Dies hat schlicht damit zu tun, dass Frauen älter als Männer werden“, erklärt Hanna-Stiina Heinmets (31), der die Leitung der Abteilung vor vier Jahren übertragen worden ist.
Tatsächlich ist ein übliches Krankenhaus eigentlich kein guter Wohnort für demente Menschen. Wovon reden wird denn? Wir reden von Menschen, die für gewöhnlich viele Jahre beschützt leben müssen, aber im klassischen Sinn nicht akut krank sind. Wir reden von Menschen, die in unterschiedlichem Maß Betreuungsbedarf haben und vor allen Dingen angeregt werden müssen, auch weiterhin aktiv und kreativ am Leben teilzunehmen.
Dafür bedarf es vor allem Luft zum Leben und Raum zum Bewegen. Garten, Wege, Natur, Aktion und Ausflug, also. „Ganz genau so ist es“, bestätigt auch Hanna-Stiina diese Auffassung. In Tallinn haben sie alles Mögliche getan, um aus einer ehemaligen normalen Krankenhausstation gemütlichen Lebensraum zu schaffen, soweit es räumlich und finanziell eben möglich ist. Besonders wichtig sei der Garten, erzählt Hanna-Stiina, den es erst erst seit wenigen Jahren gibt. Der wurde finanziert vom Diakonischen Werk in Schleswig-Holstein und stellt bei schönem Wetter das Zentrum der Station dar. Fast genau so beliebt ist aber auch die Nähgruppe. Fleißige Patientinnen arbeiten dort ihre Energie und Kreativität an uralten mechanischen Nähmaschinen ab. „Das beste was es gibt, denn es verlangt Koordination und physischen Einsatz, da die Maschinen hand- und fußangetrieben sind“, erklärt Hanna-Stiina.
Wie wichtig fachlich qualifizierte Betreuung von dementen Menschen ist, mag man auch daran erkennen, dass häufig stark übermedikamentierte Patienten eingewiesen werden. „Bis zu zehn Medikamente mit üblen Neben- und Wechselwirkungen“, so Heinmets. Die würden dann abgesetzt, und nur die wirklich medizinisch indizierten Medikamente verabreicht. „Es ist tatsächlich so“, erklärt die Stationsleiterin mit einigem Nachdruck, „dass unsere Patienten dann längst verloren geglaubte mentale und physische Fähigkeiten wiederentdecken.“ Das ist in der Tat Grund genug, die Betreuung und Versorgung von Menschen mit Demenz noch zu verbessern. Ein internationaler Kongress in Tallinn soll im kommenden in dieser Frage einiges leisten. Und das er in Estland stattfindet, mag auch mit der Expertise im dortigen diakonischen Krankenhaus zu tun haben. Wolfgang Henze
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